von Markus
Die Italiener sind ein putziges Volk. Bei Gefahr ruft der italienische Mann nicht um Hilfe, wie sein deutsches Pendant oder gar nach Gott, wie der Amerikaner. Der Italiener ruft nach seiner “Mama!”. Diese steile These war für den Spiegel im Jahre 1965 keine, es wahr ein Faktum. Die Moderne ist aber auch an Italien nicht vorbei gegangen. Es mag noch einige verlorene Dörfer im Süden des Stiefellandes geben, wo eitle Hähne noch uneingeschränkt Haupt und Erbe der Familie sind. Der Weg in die Emanzipation hat den einstigen “Stammplatz” der Frau aber allerorten verwaisen lassen: den Herd! Geht es nach dem alten Klischee, so unterwirft sich kein italienischer Mann dem Willen seiner Frau, sein Stolz ist für jeden sichtbar. Aber weich wird er nur gegenüber einer Frau im Leben, seiner Mama. Mama hat sich den Platz im Herz seines narzisstischen Bengels durch Trost und Erheiterung erstritten und nicht zuletzt erkocht. Die Werbung von Lebensmittelkonzernen schlachtet diese männliche Sehnsuchtsode der Mama noch heute intensiv aus, um billiges Olivenöl zu vermarkten.* Die Sehnsucht des erwachsenen Mannes zu seiner Mama, die verständnisvoll über alle Fehler Ihres jungen Gottes hinweg sieht, führt heute zur Einsamkeit. Ehen in Italien werden früher als in Deutschland geschlossen, doch noch öfter geschieden. Italiens Muttersöhnchen, denen keine Frau gut genug ist, haben einen eigenen Namen bekommen: “Mammoni”. Der Trend der scheidungwilligen Männer lautete: “Du bist nicht wie meine Mama, ich verlasse Dich.” Verrückte 60% der Männer im Alter von 25-29 Jahren leben noch bei der Mutter, was durch den schwierigen Arbeitsmarkt sicher noch begünstigt wird. Die Rückkehr zur Mama ist nicht raumatisch, die Rückkehr ist unkompliziert und voller Genuß: “Keiner kann meinem Sohn die Pasta so zubereiten wie ich!”
Unzweifelhaft aber, dass auch in Deutschland eine ähnliche Bewegung stattgefunden hat. Frauen sehen die Küche neutral als Versorgungs-, Sozialisierungs oder Genußort, sicher aber nicht als Arbeitsplatz ohne Alternativen. Die Anzahl der Menschen, die kochen, weil es Ihnen eine Herzenssache ist, ist leider nicht so groß wie mancher Mann gerne hoffen dürfte. Die Küche bleibt in der Folge statistisch gesehen immer öfter kalt. Ein großer Anteil geht sicher auf die steigenden Beschäftigungsquoten der Frauen zurück, die spätestens nach Fall der Mauer auch im Westen stark anstiegen. Woher die Zeit nehmen wenn nicht stehlen und Fremdversorgung ist schlichtweg nun mal bequem. Der Anteil der Deutschen, die nie kochen, liegt 2016 bei sagenhaften 42%. Nie heißt: Nicht mal gelegentlich, sondern einfach nie. Was bedeutet es aber, wenn zu Hause die Familie nicht mehr kocht? Wenn es keine Zeit zur gemeinsamen Mahlzeit gibt und die Kinder Ihre Eltern nicht kochend erleben? Wenn Kinder nur noch in der Kita eine warme Mahlzeit kriegen und sonst “snacken”? Wird die Entledigung von Hausarbeit noch bei den 68ern als Befreiung der Frau gefeiert, droht doch nun ein einziger Kulturverlust, der nicht kompensiert wird. Sicher ist es tolldreist zu behaupten, dass alle Mamas gerne für Ihre liebsten kochten und es gar für eine Passion hielten. Nicht jeder Mensch verfügt über schöne Kindheitserinnerungen. Nicht jeder Mensch erhielt “Liebe durch den Magen”. Da gibt es diejenigen, die Liebe schlicht anders ausdrücken können. Und es gibt diejenigen, die Ihre Erziehung strenger vollzogen, aber beim Kochen sich selbst und den Kindern Genuß schenkten. Das Potpourri an Gerichten, vor allem wohl auch die großen Mengen, als indirekte Liebesbezeugung. Das war viele Jahrzehnte in Deutschland teil eines gelungenen Lebensstils. Wie stark hat sich dieses Gefühl nun verändert, wo die gesundheitliche Wirkung der Speisen, der Verzicht oder die Diätetik nach ethischen Prinzipien einen höheren Stellenwert bekommen haben.
Wie schön, was sich doch bei diesem so banalen Zusammenhang von Familie, Kochen und gemeinsamen tafeln ergibt: Der Mensch erfährt beim gemeinsamen Essen ein Wohlgefühl, sogar ein Hochgefühl wenn es besonders gelungen war. Die Beziehung der Eltern zu den Kindern ist materialisiert: Dort die Versorgenden, hier die Empfangenden. Der Koch arbeitet zwar und wendet Mühen auf, aber seine Arbeitsergebnisse widerfahren dem Anderen unmittelbar und dringt in Ihn ein – eine Berührung, die auch die Menschen buchstäblich innerlich erreicht, die sich von Worten nicht verzaubern lassen. Essen ist sinnlich, es ist sensorisch und nahrhaft. Es schafft Kraft und stillt den Hunger. “Kochen mit Liebe” bedeutet aber, dass man die Arbeit noch mit besonderer Passion betreibt. Es ist mit Mehraufwand verbunden, besonders lecker zu kochen. Es braucht mehr Kraft und Überlegung. Weil die Technik etwas mehr Fingerspitzengefühl und Konzentration erfordert, weil die Lebensmittel stärker bearbeitet werden müssen oder auch weil es schlicht lange dauert, etwas besonders Feines zu kredenzen. Wer aber etwas besonderes kocht, der braucht tatsächlich doch auch Liebe. Liebe zu sich selbst ist ein Grundbaustein, denn wer sich selbst verwöhnt, kann andere sicher gut mitverwöhnen. Eine Anstrengung wird es besonders dann, wenn die Wünsche der Bekochten allzu intensiv in den Prozess einfließen: Bitte nicht dies, bitte nicht das, zu süss, zu salzig, usw. Ein Kunstwerk gelingt nicht gern, wenn der Maler nach den Wünschen der Betrachter fragt. Die Können inspirierend sein, aber die Lust Neues zu probieren kann versiegen, wenn allzu konkretes gewünscht wird. Und dass scheint gerade auch den Männer aufzugehen, die am Wochenende den Platz in der Küche suchen.
Wo die Mama nicht mehr kocht, sucht der Mann nach Ersatz, denn die Partnerin ihm nicht mehr verschafft. Kaum ein Mann aber, der das Kochen nach Kriterien der Alltagstauglichkeit bestreitet. Männer scheinen nur eine Fähigkeit nicht zu besitzen, wenn Sie leidenschaftlich kochen: Das unkomplizierte Kochen. Männer neigen dazu, die Thematik des Kochens intensiv aufzuladen. Durch besondere Gerätschaften, durch Spieltrieb oder gar den Drang imponieren zu wollen. Papa hat einen Eintopft gemacht? Hört man selten. Wenn Männer nur eine kleine Portion Nudeln anrühren, dann eher, weil Ihnen nicht nach mehr verlangt oder sie aber schlicht nicht mehr fertigbringen. Der schönste Schutz vor Arbeit im Haushalt ist heute der einfache Satz: “Ich kann das nicht” geworden. Als wenn danach früher gefragt worden wäre, als die Position am Herd zu vergeben war. Viel Können muss der Koch aber nicht, wenn er sich an den Pragmatismus der alten Hausfrauenküche erinnert: In der Woche kocht kein Mensch 3 Gänge jeden Tag. Wichtiger ist es, die 3 Mahlzeiten überhaupt auf den Tisch zu bringen. 2 mal am Tag kann kalt gegessen werden, einmal am Tag warm zu essen reicht aus. Der Nachtisch ist ein nettes Extra, aber hier darf auch gerne einfaches gekocht werden. Was ist falsch an Quark mit Schattenmorellen, wenn die Zeit nicht reicht zu mehr? Konzentrieren wir uns lieber auf das Hauptgericht und suchen uns die Rezepte so aus, dass wir sie in einer Stunde spätestens fertig gebracht haben. Alles andere ist für jeden Tag bei normaler Arbeitszeit von 8 Stunden einfach unrealistisch. Und das gilt übrigens auch in Italien, denn wo reichte überhaupt das Geld und die Zeit im Alltag der Familie, um im Alltag Primi Piatti, secondi piatti, piatto principale, usw. zuzubereiten? Da soll man sich nicht Illusionen hingeben, auch in Italien war das nicht der Alltag.
Alltag bedeutet also “Hausmanns- oder Hausfrauen-Rezepte”. Der schnell abrufbare Rezeptschatz nimmt ab, alleine weil Kochbücher oder das iPad schnell griffbereit ist für die Rezeptdatenbank. Und weil natürlich mit mehr Abwechslung gekocht werden kann, denn die Jahreszeiten bestimmen nicht mehr streng den Speiseplan. Gekocht wird heute eher nach der Devise, worauf man gerade Appetitt hat. Nicht danach, was es gibt. Aus Kochen ist eine Eventküche geworden. Gekocht wird vor allem am Wochenende, wenn der berufliche Zeitdruck nachlässt. Und dann nur Alltagsrezepte? Das erscheint zu wenig, exotisch muss es sein, nicht zu deutsch bitte sehr. Ich erkläre mir die besondere Beliebtheit der Rezepte von Tim Mälzer oder Jamie Oliver gerade damit, dass Sie von der Komplexität des Kochens eigentlich klassische Hausmannskost liefern. Aber sie weigern sich die traditionelle Zusammensetzung einfach zu wiederholen, sondern verschneiden sie eben mit zeitgemäßeren Ingredienzen. Alles hat den Touch von kulturellem Crossover und ist mindestens so bunt wie die Illustrationen und das Kochbuchdesign. Es sind beides Männer, die kochen – keine Frauen. Das ist zeitgemäß, insbesondere wenn sie im lässigen Freizeitdress kochen statt in der Kochuniform. Der moderne Mann kocht – für die Frau. So haben sich die Zeiten geändert. Nicht nur in Italien. Nur ist das ganze vielleicht genauso ein romantischer Wunsch wie die Sehnsucht nach der Mama?
* keiner schlachtet das Thema der italienischen Mama visuell besser aus als Unilever mit seiner Bertolli-Reihe. Aber gut geworben ist leider längst noch kein gutes Produkt. Jüngst wieder wurde die Firma gerügt für Ihren saftigen Olivenölverschnitt. Nichts ist Unilever heilig, auch nicht “Le Donne!”