“Schau ganz tief in die Natur, und dann verstehst Du alles besser.”
Albert Einstein
Wir haben Wild Table 2016 gegründet. Wild Table ist ein Ort, wo wir eine neue Kultur erschaffen wollen. Wir wollen Natur und Mensch wieder in Einklang bringen. Körper und Geist wieder miteinander versöhnen. Die Welt spielerischer und entspannter erkunden. Nachhaltiger und gesünder leben. Um dass Abstrakte konkret zu machen, haben wir uns zu etwas sehr Konkretem entschieden: Wir werden die Kulturtechnik neu beleben, die die älteste der Menschheit ist und ihn vom Tier unterscheidet: Wir kochen. Und zwar zusammen! Und zwar anders als die Welt sich aktuell entwickelt.
Wir möchten nicht weiter zusehen, wie die Kulturtechnik des Kochens mehr und mehr verloren geht. Dass Menschen einfachste Dinge wie Brotbacken oder Gemüseziehen verlernen, was früher lebensnotwendig wie selbstverständlich war. Der angebliche Komfort, alles im Supermarkt günstig zu beziehen, hat sich in eine gefährliche Illusion verwandelt, die uns nicht freier macht. Wir wollen nicht abhängig sein von einer Nahrungsmittelindustrie und deren Lobbyismus, Ihrem Einfluss auf Konsumgewohnheiten und auf unser Denken, wenn es um die lebensnotwendigen Dinge geht. Wir möchten unser Wissen über Lebensmittel und ihre gesundheitliche Wirkung nicht in Fetzen aus der Werbung ziehen, wir lassen uns nicht für dumm verkaufen. Es ist zu Mode geworden, Abfallprodukte als Mehrwertprodukte zu verkaufen und eine fast schon pharmazeutische oder gar lebensverlängernde Wirkung zu suggerieren. Wir schauen lieber auf die Wissenschaft und wirklich “tief in die Natur”. Wir glauben den Kreislauf des Lebens dort nicht nur zu erkennen, sondern finden dort Ruhe und Frieden. Wir wollen keine Hysteriker sein, die von einem Skandal zum nächsten von den Medien gehetzt werden und Angst haben müssen, dass immer weniger Artenvielfalt auch in unseren Lebensmitteln dazu führt, dass wir Allergien, Unverträglichkeiten oder Fettleibigkeit und andere Krankheiten entwickeln. Wir wollen nicht mehr zusehen, wie unsere Städte immer dreckiger werden. Wie echte Lebensqualität überrollt wird. Wir wollen einsehen, dass die Großstadt der letzte Rückzugsort für wilde Tiere wird, weil es draußen keinen Schutz mehr von dem Mensch und seinen Maschinen gibt.
Wir wollen, dass Menschen aufgeklärt sind über dass, was sie essen und welche Folgen es für sie hat. Dennoch wollen wir keine Dogmatiker sein. Wir möchten niemanden sein Essen verleiden, wir wollen niemanden zu einem Ernährungsstil bewegen, der ihm/ihr nicht entspricht. Es ist Teil der Vielfalt, dass jeder Mensch unterschiedliche Ernährungsstile wählen kann. Nicht jeder entspricht jedem, nicht jeder schmeckt jedem. Wir wollen niemanden zwingen, erziehen oder belehren. Aber wir freuen uns, wenn wir offen und ohne Kalkül die Herausforderungen unserer Zeit diskutieren können. Ganz praktisch, indem wir schauen, woher unsere Lebensmittel kommen, wie sie erzeugt werden und wie wir sie so zubereiten, dass Sie uns munden.
Wild Table steht für den Gegensatz von unberührter Wildnis (Wild) und der menschlichen Kultur (Table). Ein unendliches Spannungsfeld, ein Ort der Sehnsucht, eine Oase für die Seele ist die Natur, aber auch ein Ort der Gefahr, des Risikos und des Muts. Diese Orte, die Teil jeder romantischen Bildwelt sind, gehen uns immer mehr verloren. Wir beklagen dass. Wir sind die Bewohner der Großstädte dieser Welt. Aber wir wollen die Großstadt nicht einfach größer werden sehen, Ihre Lebensqualität muss sich verbessern. Wir brauchen mehr Grün in der Stadt, denn wir wollen nicht raus aus der Stadt. Dazu müssen wir etwas tun. Und es fängt damit an, dass wir unsere Lebensmittel wieder selber ziehen, dass wir einen Beitrag zu unserer Versorgung leisten. Weil es Freude macht und weil es freier macht.
Wir sehen Lösungen, wo andere nur Probleme sehen. Die Stadt war ein Ort, der nie so stark isoliert war von seinem Umland. Heute fahren Lkw und Flugzeuge aberwitzige Distanzen, um unseren Kalorienhunger zu befriedigen. Die Luft wird nicht besser dadurch. Wir haben keinen Platz horizontal. Also sollten wir ernsthaft prüfen, ob wir nicht auch vertikal gärtnern können. Die Technologie ist längst da, ein Abfallprodukt der Raumfahrt. Sie ist teurer als konventionelle Landwirtschaft, aber sie hat andere Vorteile, die sie langfristig sinnvoll machen: Wir erzeugen lokal, wo wir leben. Wir nutzen die Wärmeenergie unserer Wohnungen doppelt aus. Wir müssen nicht spritzen und Schädlinge aus unseren Wohnungen fernhalten, die sind ja eh nicht da. Wir können mit Technologien wie LED viel weniger Energie verbrauchen, als wenn wir den Salat aus dem Supermarkt holen, der auch noch aus Spanien kam. Unsere Luft wird besser, nicht zuletzt in den Wohnungen und es ist eine sinnvolle Beschäftigung, die auch innerlich Freude macht. Der Ertrag ist erstaunlich hoch, deswegen brauchen wir uns nicht als Spinner brandmarken zu lassen. Spätestens wenn die Kritiker unsere Lebensmittel probieren, werden sie es verstehen.
Wir sind eine Generation, die die Natur von Ihren Eltern noch kennt. Jetzt, wo die ersten Handwerksbetrieb ganz verschwunden sind, wo immer weniger Metzger noch selber schlachten, wo überall die gleichen Fleischstücke verwendet werden und der Rest im Hundefutter oder sonstwo landet, wo die Vielfalt von den Gemüsesorten und Obstsorten sich in erschreckender Gleichheit und Armut in den Supermärkten darstellt, ist der Moment gekommen, zu handeln. Wenn alle Menschen weiter auf Überwürzung, Fette und zuviel Süße gedrillt werden, gehen die spannendsten Aromen unserer Welt einfach verloren. Und sie lassen sich nicht synthetisieren, es ist ein unwiderbringlicher Verlust für unsere Kinder. Alles, weil dass Streben nach Versorgung in eine absurde Überproduktion abgedriftet ist.
Früher hieß es, wir müssen alle wachsen und nicht nur die Wirtschaft sollte wachsen. Ein Traum aus der Bibel, als das Paradies voll Milch und Honig war. Es war ein Traum aus Zeiten der Unterversorgung. Heute ist daraus ein Alptraum von Milchseen und Bienensterben geworden. Unsere Felder sind mit Energiepflanzen durchwachsen, die erodierte Böden hinterlassen und das Trinkwasser gefährden. Sie liefern Bienen wenig Nahrung und ohne Unterstützung des Menschen werden sie nicht mal als Kulturfolger überleben können. Es ist eine Katastrophe aus Artenverlust und einem fatalen Streben nach letzter Effizienz, der sich verselbständigt hat. Der Mensch ist zu mächtig geworden im Kampf gegen die Wildnis, im Kampf um sein Überleben und seinen Schutz, dass nun die Basis des Lebens zu verloren gehen droht.
Es sind einfache Worte, deren Sinn uns wieder bewußt gemacht wird: Lebensmittel spenden Leben. Der Mensch braucht eigentlich wenig mehr zum Überleben in wirtlicher Umgebung. Aber er hat sich, ausgerechnet durch die Kulturtechnik des Kochens, davon befreit, sich nur um seine Ernährung zu kümmern. Er hat durch das Kochen seine Nahrung im Energiegehalt verdichtet, was ihm viel Zeit beschert hat, die andere Tiere mit dem Kauen und Verdauen zubringen. Kochen hilft Fressfeinde im eigenen Körper zu töten, Viren, Bakterien und Pilze zu reduzieren. Statt den ganzen Tag zu kauen, hat der Mensch dadurch seine Werkzeuge über die Jahrtausende weiter entwickelt, seine sozialen Strukturen, seine Kultur. Diese Werkzeuge sind seit der Industrialisierung aber so mächtig geworden, dass sie die Balance des Planeten stören. Auch wenn die Erde überleben wird, sie wird es nicht in dieser Form tun und ob der Mensch dabei sein wird, scheint ein Va Banque-Spiel geworden zu sein. Nachhaltigkeit ist dass Thema unserer Generation. Wenn wir es nicht lernen, nachhaltiger zu wirtschaften, zu konsumieren und unsere Erde zu behandeln, wird es keine Generation schaffen. Wir müssen einen Anfang machen. Einen Anfang heraus aus alten Gewohnheiten, die nur scheinbar so viel leichter sind als die Alternativen.
Uns ist Kochen wichtig. Es ist eine kreative, spielerische und freudvolle Tätigkeit. Beim Prozess des Kochens kann man in einen Flow geraten, wenn man die ersten Übungen absolviert hat. Man verliert sich in einer Tiefe und einer Entspannung, die einzigartig ist. Und wenn man die Ergebnisse mit anderen teilen kann, sie nährt und damit glücklich macht, ist dass eine der schönsten Momente, wo Menschen miteinander in intensiven Kontakt miteinander kommen. Die Momente nach dem Essen, wenn sich Befriedigung und Dankbarkeit einstellt, sind die schönsten Momente für jede Unterhaltung, für jedes Spiel. Kochen regt an, verbindet und macht es möglich, die Kulturen miteinander zu vermischen.
Auch wenn Kochen überpräsent ist, in den Medien fast jeden Tage unglaublich viele Formate über das Kochen laufen, so wird doch immer weniger gekocht. Es ist eine Eventküche geworden, oft nur am Wochenende. Freunde einzuladen ist ein großer Akt geworden, der uns in unserem verdichteten Alltag gar nicht so oft möglich erscheint. Türme von Packeten und Styroporverpackungen türmen sich, weil Menschen lieber eine Mahlzeit im Internet ordern als eine kleine Vorratshaltung zu bewerkstelligen. Nichts wird dadurch besser, nichts ist weniger kreativ. Es ist eine Illusion von Kreativität. Wenn wir aber dies nicht wollen, dann müssen wir Angebote machen. Es den Menschen einfacher machen zu kochen. Mit anderen gemeinsam. In unkomplizierter und formloser Atmosphäre, die unserem Lebensstil entspricht.
Wir beklagen sterbende Bauernhöfe, falsche Fischereitechniken und ein merkwürdiges Naturverständnis zwischen Streichelzoo einerseits und industrieller Massentierhaltung andererseits.Gute Erzeuger verlieren den Marktzugang, weil sie die absurden Menge der großen Händler, deren Marktkonzentration einzigartig ist, nicht bedienen können. Allen Kampagnen zum Trotz, scheren sich die großen Händler wenig um Artenvielfalt und die Unterstützung kleinerer Betriebe, die noch traditionell oder Bio in Demeter, Bioland, etc. Qualität produzieren. Stattdessen werden gigantische Mengen von Bioprodukten mit dem EU-Siegel produziert, dass dann doch wieder eingeflügt wird, so die Gurke nicht nach Form gewachsen ist. Überall haben uns die Händler jahrzehntelang darin erzogen, den niedrigeren Preis, die bessere Markte zu wählen. Bis wir irgendwann feststellten, dass Vielfalt eine Marketingillusion geworden ist. Und regional heißt dass Etikett, wenn der größte Apfelfarmer zufälligerweise in der Nähe des Supermarktes ist, aber es trotzdem keinen anderen Erzeuger gibt, der die gleiche Kette regional woanders versorgt. Stattdessen Monokulturen, riesige Flächen, keine Streuobstwiesen, nur mehr mechanische und chemische Landbearbeitung. Überproduktion überall, die in Schwellenländern und Entwicklungsländer geht und dort den weniger effizienten Betrieben keine Chance am Markt lassen.
Als junge Generation wissen wir, dass aber das Internet und Technologie uns helfen können, einen echten Zugang zu den Erzeugern zu liefern, die es noch gibt. Die mit Leidenschaft, Verstand und mit Würde produzieren. Die aber auch wirtschaftlich überleben müssen. Direktvermarktung unterstützen wir durch das Internet, Bewegungen wie die Food Assembly und urbane Gärten (Neuland, solidarische Landwirtschaft, etc.) sind da Inspiration, dass es auch ganz anders geht. Wir wollen nicht, dass Technologie die Natur zerstört, sie soll dem Menschen dienen. Und hier kann sie sinnvoll eingesetzt werden. Bei dem Versuch sich die Natur Untertan zu machen, ist der Mensch zu weit mit seiner Technologie gegangen. Hier kann er seine Fehler korrigieren, einfache Angebote machen, so dass kein Mensch mehr beklagen muss, dass es nicht auch anders geht.
Die beschleunigten und zivilisierten Menschen unserer Zeit verlieren sich in den Großstädten in immer größerer Entfremdung zu den Läufen des Lebens und der Natur. Wir sind Weicheier geworden, die digitale Kuscheltiere haben und automatisierte Schlachtfabriken lieber verdrängen, weil Sie uns an die schlimmsten Kapitel der Geschichte erinnern. Ist es einfach menschlich, dies so zu tun? Oder gibt es nicht ein Leben, dass positiv und freudvoll ist, dass Technologie nutzt, Nachhaltigkeit lebt und Gesundheit versteht, sowohl körperlich wie seelisch? Wir denken, der Mensch hat Alternativen. Und er muss nicht auf Kosten anderer Menschen leben, keine Statistik zeigt, dass das Bevölkerungswachstum gen unendlich gehen wird und ein großer Verteilungskampf so oder so bevor steht. Es geht darum, diese Themen zivilisiert und kultiviert zu lösen und nicht wie Barbaren.
Smartphones erinnern uns jeden Tag daran: Wir sind schneller in einem krassen Science Fiction gelandet als wir dachten. Technologie, so sinnvoll und nützlich sie ist, scheint sich zu verselbständigen und uns die Freiheit zu rauben in einem zeitlich verdichteten Alltag. Der einstige Gegensatz von Wildnis und Kulturlandschaft hat sich in ein Mißverhältnis verschoben. Wir Menschen haben fast jede Wildnis dort draußen vernichtet und uns den Planeten in einer Form Untertan gemacht, die weder Nachhaltigkeit noch gesund für uns selbst ist. Dem Mensch bleibt die große Sehnsucht nach der Natur, gerade für seine seelische Gesundheit scheint die Natur ein wichtiger Balancefaktor zu sein. Selbst der Wald, der große Sehnsuchtsort für Europäer und Ort Ihrer Märchen, ist nie unberührt, sondern überall ein Wirtschaftsbetrieb geworden. Bei Wild Table wollen wir der Natur wieder mehr Platz einräumen und zwar dort, wo wir wohnen. Ausgerechnet in der Großstadt findet bei Vielen ein Umdenken statt, hier machen sich viele auf den Weg zu einer Ernährungswende. Wild Table soll ein Beitrag sein dazu, dass diese Wende auch lebendig wird und eine Plattform für viele Konzepte und Ideen, die auch diesen Weg gehen wollen. Der erste Schritt ist ganz einfach: Wir werden miteinander kochen! Und kochen bedeutet, wie Michael Pollan in “Kochen” schrieb, dass der Mensch Natur transformiert und Ihr somit begegnet. Selber zu kochen ist ein wichtiger Faktor, damit uns die Beziehung zur Natur nicht völlig verloren geht und wir unseren Planeten in eine Wüste verwandeln.
Muhammed Ali brachte diesen Geist auf einen Nenner, als er vor Harvard Absolventen sprach. Er sagte den Absolventen, dass Sie viel Glück hätten diese Schule zu besuchen und auch an andere denken sollten in Ihrem Leben, welche Möglichkeiten sie hätten. Die Schüler hörten es, einer rief laut: “Give us a poem!” Ali, nie verlegen um eine Antwort, sprach dass wohl kürzeste Gedicht aus, dass die Menschheit kennt. Er hob die Hand und rief “ME. WE!”
Nicht nur die Freiheit des Einzelnen ist wichtig für eine nachhaltige Gesellschaft. Sie muss wissen, dass Individualismus zu Lasten anderer falsch ist. Dass vernetzte und kollektive Denken in einer globalisierten Welt ist der Weg in die Zukunft. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aber wir können damit anfangen. Wenn wir gemeinsam kochen und miteinander reden.
Für den Vorstand – Markus Bußmann, 2016